Tag 2 – Es wird ernst

Nachdem der Deutsche Tischtennis-Bund die Vorrundenspiele hauptsächlich aus Kostengründen gestrichen hat, ist der Samstag für viele Teilnehmer/innen Beginn und Ende der Deutschen Meisterschaften zugleich. Das Turnier beginnt sofort mit K.-o.-Runden. Wer keines der Halbfinal-Spiele im Einzel oder Doppel erreicht, ist draußen. Schade, denn dadurch verliert das Turnier für viele Spieler/innen deutlich an Reiz. Zu groß der zeitliche Aufwand, zu gering die Möglichkeiten spielen zu können. Doch genug der Kritik, wenden wir uns dem Geschehen an den TT-Tischen zu.

Um 10:00 Uhr geht es mit dem Achtelfinale im Mixed los. Ungefähr zwei Stunden vorher versuchen die Beteiligten in der Halle zu sein und mit dem Einspielen zu beginnen. Das Aufstehen ist deshalb für 6:00 bis 7:00 Uhr angesagt. Nach dem Frühstück geht es mit dem WTTV-Bus in die Halle. Hannah Schönau (Fritzdorf) und Pekka Pelz (Hamm) sind die einzige reine WTTV-Paarung. Sie treffen in der ersten Runde auf die favorisierten Sophia Klee und Benno Oehme. Und ihnen gelingt die erste Überraschung. Mit 3:1 Sätzen haben sie am Ende recht sicher die Nase vorn. Eine Runde später und damit bereits im Viertelfinale treffen sie auf eines der ganz seltenen Abwehr-Duos. Der westdeutsche Meister Florian Bluhm (Hamm) hat sich mit Lea Lachenmeyer (Frickenhausen) zusammengefunden. Gemeinsam wollen sie ein undurchdringliches Abwehrbollwerk errichten. Und das gelingt ihnen auch. Einem 3:2-Sieg im Achtelfinale lassen sie gegen Schönau/Pelz ein 3:1 folgen. Erst im Halbfinale, dem einzigen das noch am Samstag stattfindet, unterliegen sie den späteren Meistern Mantz/Meng (Langstadt/Mühlhausen). In das andere Halbfinale spielt sich der Kölner Tobias Hippler mit seiner Partnerin Franziska Schreiner (Langstadt). Aber auch sie können das Finale nicht erreichen. Mit 1:3 unterliegen sie Wan/Meissner (Kolbermoor/Bad Homburg).

Schönau/Pelz

Lachenmeyer/Bluhm

Im Damen-Doppel beweist die 19-jährige Hannah Schönau (Fritzdorf), dass ihr Hunger nach Überraschungen noch nicht gestellt ist. Sie spielt zusammen mit der erst 15-jährigen Luisa Düchting (Fritzdorf), die sich durch hervorragende Leistungen in den vergangenen Wochen in den Kader gespielt hat. Bei den deutschen Mädchen 18-Meisterschaften hat sie ebenso wie bei den Westdeutschen (hier im Feld der Erwachsenen und der Mädchen 18) im Einzel den 3. Platz belegt. „Wenn ich noch ein bisschen mutiger agiere, kann ich hoffentlich noch besser werden,“ verweist Düchting auf die Worte ihres Trainers Stephan Schulte-Kellinghaus. Das WTTV-Duo trifft in Runde 1 auf Michajlova/Tiefenbrunner (Staffel/Kolbermoor). Letztere ist die Titelverteidigerin. 2021 siegte sie an der Seite von Sabine Winter (Schwabhausen). Und auch Michajlova ist wahrlich keine schlechte. Zu ihren Erfolgen gehören unter anderem ein 3. Platz bei den Deutschen Meisterschaften 2017 und der Vize-Titel im Mixed im vergangenen Jahr. Doch all diese Erfolge nutzen an diesem Tag nichts. Die Favoritinnen lassen sich kalt erwischen und liegen schnell 0:2 zurück. Zwar können sie zunächst noch nach Sätzen ausgleichen, doch im 5. Satz reicht es dann nicht mehr. Denkbar knapp mit 12:10 setzen sich Schönau/Düchting durch. Im Viertelfinale treffen sie dann auf Deutschlands Top-Talent Annett Kaufmann (Böblingen). Sie ist mit ihrer Partnerin Franziska Schreiner an Nr. 3/4 gesetzt. Und gegen diese beiden reicht es dann nicht mehr. Zwar können Düchting/Schönau phasenweise gut mithalten, letzten Endes unterliegen sie den späteren Vizemeisterrinnen recht klar mit 0:3. Ansonsten ist nur noch die westdeutsche Vize-Meisterin Mädchen 18 Charlotte Schönau (Fritzdorf) im Damen-Doppel im Einsatz. Die Schwester von Hannah Schönau ersetzt kurzfristig die erkrankte Nadine Sillus und bildet mit Mia Griesel (Lunestedt) – einem weiteren Jungtalent des DTTB – ein Doppel. Die Zufallspaarung unterliegt jedoch bereits in der ersten Runde trotz 2:0-Führung mit 2:3 gegen Deichert/Itagaki (Hofstetten/Königshofen).

Düchting/Schönau vs. Michajlova/Tiefenbrunner

 

Während man bei den Damen von vornherein nicht mit vorderen Platzierungen rechnet, wird im Herren-Doppel nicht nur von Medaillen geträumt – nein, sie werden erwartet. Immerhin haben Benedikt Duda (Bergneustadt) und Dang Qui (Düsseldorf) den Titel viermal in Folge geholt. Eine Medaille kann man auch von Gerrit Engemann (Hamm) und Kirill Fadeev (Dortmund) erwarten. Aufgrund ihres TTR-Wertes sind sie an Nr. 2 gesetzt. „Jetzt müssen wir auch eine Medaille holen,“ kommentiert Engemann die Setzung. Und er lässt diesen Worten Taten folgen. Nach einem Freilos in der 1. Runde besiegen sie die Brüder Spreckeisen (Schwarzenbek) mit 3:0. Und damit stehen sie im Halbfinale, das erst am Folgetag ausgetragen wird. Die Titelverteidiger haben ebenfalls zunächst ein Freilos und ziehen anschließend ungefährdet ins Halbfinale ein.

Fadeev/Engemann

Die Geschichte des Damen-Einzels ist aus Sicht des WTTV schnell erzählt. Keine Teilnehmerin kann sich für die zweite Runde qualifizieren. Hannah Schönau unterliegt mit 0:4 Katharina Michajlova, die sich für die Doppel-Niederlage schadlos halten kann. Mit dem gleichen Ergebnis verliert Charlotte Schönau gegen Janina Kämmerer. Und ebenfalls mit 0:4-Sätzen hat Luisa Düchting das Nachsehen. Allerdings unterliegt sie der späteren Titelträgerin Sabine Winter. Und diese zollt nach ihrem Sieg großen Respekt: „Deine Rückhand ist ja schon richtig gut. Die hat hohe Qualität. Mach bloß weiter so.“ Düchting strahlt, schon deshalb hat sich die Teilnahme für sie gelohnt.

Düchting und Schulte-Kellinghaus

Nach den Doppeln und dem Damen-Einzel beginnt der aus Sicht des WTTV wichtigste Turnier-Teil: die Herren-Einzel-Konkurrenz. Unter den vier Topgesetzten befinden sich mit Benedikt Duda, dem Titelverteidiger, und Dang Qiu (Nummer 10 der Weltrangliste) zwei WTTV-Vertreter. Daneben sind Dimitry Ovtcharov (Neu-Ulm) und Steffen Mengel ebenfalls gesetzt. Zum erweiterten Favoritenkreis muss auch der Neu-Düsseldorfer Kay Stumper gezählt werden.

 

Duda und Qiu gehören nicht unmittelbar zum WTTV-Tross. Sie sind Profis und finden sich unter den Top-15 der nationalen Rangliste wieder. Letzteres berechtigt sie, in den Trikots ihrer Sponsoren anzutreten. Alle anderen Spieler/innen des WTTV müssen die vom Verband vorgegebene Trikot-Marke tragen. Üblicherweise reisen die Profis auch gesondert an und tragen ihrer Übernachtungskosten selbst. Nichtsdestotrotz sind beide Akteure dem WTTV zuzurechnen. Dies gilt insbesondere für Duda, der aus Bergneustadt kommt und jahrelang die Kader des WTTV, dem er sich auch heute noch eng verbunden fühlt, durchlaufen hat.

 

Doch werfen wir zunächst einen Blick auf die Halb-Profis. Von ihnen scheidet Kirill Fadeev äußerst knapp und nach großem Kampf mit 3:4-Sätzen gegen Liang Qiu (Neckarsulm) in der ersten Runde aus. Eine Runde weiter kommt Pekka Pelz, bevor er ausgerechnet Benedikt Duda mit 0:4 unterliegt. Gleiches widerfährt Gerrit Engemann im Viertelfinale, der gegen Duda ebenfalls mit 0:4 das Nachsehen hat. Doch das Erreichen der Runde der letzten Acht kann für Engemann durchaus als Erfolg gewertet werden. Seine Vollprofi-Pläne hat er mittlerweile aufgegeben und konzentriert sich nun verstärkt auf die berufliche Ausbildung. Seinen Leistungen tut dies anscheinend keinen Abbruch. Ebenfalls bis ins Viertelfinale dringt Tobias Hippler vor. Dort ist er gegen Dang Qiu beim 0:4 letzten Endes machtlos.

 

Zur Sensation der Titelkämpfe wird der letzte WTTV-Vertreter – Florian Bluhm. Der elegante Verteidiger gewinnt sein erstes Spiel locker mit 4:0 und trifft anschließend auf den Bundesligaspieler Fan Bo Meng (Fulda-Maberzell). Gegen den 1,91m großen Angreifer mit asiatischen Wurzeln stehen die Zeichen klar auf Verlust. Doch Bluhm lässt sich nicht beeindrucken. Unter dem Jubel der Zuschauer/innen gelingt es ihm schnell, mit 2:0 in Führung zu gehen. Meng findet zunächst kein Konzept gegen die unglaublich sichere Abwehr von Bluhm, der nahezu keine leichten Fehler macht und immer wieder einen Topspin nach dem anderen zurückspielt. Doch dann wendet sich das Blatt. Perfekt eingestellt von seinem Vater kann Meng die folgenden drei Sätze relativ sicher für sich entscheiden. Das Momentum ist klar auf seiner Seite. Doch als alle Zuschauer und wohl auch Meng selbst mit seinem Sieg rechnen, schlägt Bluhm zurück. Er nutzt jede Unkonzentriertheit des Neu-Ulmers und erzielt immer wieder mit kontrolliertem Angriffsspiel Punkte. Satzgewinn mit 11:8. Das Spiel geht in den Entscheidungssatz. Und hier zeigt es sich, dass Meng müde wird. Immer dann, wenn er sich absetzen könnte, unterlaufen ihm scheinbar leichte Fehler. Jeden eigenen Punkt muss er sich hart erarbeiten. Und gegen Ende des Satzes kommt auch noch Nervosität – vielleicht sogar Verzweiflung – dazu. Unter dem frenetischen Applaus der Zuschauer/innen gelingt es Bluhm diesen Satz mit 11:9 für sich zu entscheiden. Die Titelkämpfe hatten ihre ganz große Sensation. Nur kurze Zeit später muss Bluhm dann gegen Patrick Decker (Borsum) antreten. Decker hatte davon profitiert, dass Ovtcharov das Turnier mit Magenproblemen aufgeben musste. So hat er kampflos das Viertelfinale erreicht. Viele befürchten nun, dass Bluhm nach dem Kraftakt im Achtelfinale die Kräfte verlassen und ihm der 44-jährige Routinier ein Bein stellen wird. Doch Bluhm lässt sich die Chance seines Lebens nicht nehmen. Sicher bezwingt er den Norddeutschen mit 4:0 und steht damit zur Überraschung und Freude aller Zuschauer/innen im Halbfinale der 90. Nationalen Deutschen Meisterschaften.

Florian Bluhm

Mit diesem Erfolg geht ein spannender Wettkampftag zu Ende. WTTV-Chef-Trainer Schulte-Kellinghaus zieht beim abendlichen Abschluss-Getränk ein zufriedenes Fazit: „Heute hat mich wirklich niemand enttäuscht. Alle haben mindestens im Rahmen ihrer Möglichkeiten gespielt, die meisten sogar besser. Und Florian war phänomenal.“

 

Fortsetzung folgt.

 

 

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